Freitag in der Arena - der oekostrom AG-Talk

Freitag in der Arena - der oekostrom AG-Talk

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00:00:07: Herzlich willkommen bei Freitag in der Arena.

00:00:10: Wir sind, das seht ihr, ihr hört es aber nicht,

00:00:13: heute nicht in der Arena.

00:00:15: Die wird nämlich gerade umgebaut.

00:00:16: Und deswegen haben wir Asyl

00:00:18: in einem schönen Innenhof

00:00:20: im vierten Wiener Gemeindebezirk gefunden.

00:00:22: Das Thema von Freitag in der Arena

00:00:24: ist aber das gleiche.

00:00:25: Wir reden über die Zukunft,

00:00:27: wir reden über den Klimawandel,

00:00:29: wir reden über Energie und wir reden diesmal

00:00:32: auch über Sicherheit, über Geopolitik.

00:00:35: Bei mir ist oekostrom AG CEO Ulrich Streibl.

00:00:40: Hallo Ulrich.

00:00:41: Hallo Tom.

00:00:42: Auch ich begrüße euch

00:00:44: zu dieser neuen Folge unseres Talks.

00:00:47: Und wir haben heute einen ganz besonderen Gast.

00:00:50: Wir haben heute Philipp Blom hier.

00:00:52: Historiker, Philosoph, Buchautor,

00:00:55: Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele 2018.

00:00:59: Ein Mensch, mit dem man, glaube ich,

00:01:02: ein sehr spannendes Gespräch führen kann

00:01:04: über die Thematik des Klimawandels,

00:01:08: Veränderungen in der Gesellschaft,

00:01:10: Umgang mit Krisen. Umgang mit Bedrohungen.

00:01:14: Und insofern freue ich mich ganz besonders

00:01:16: auf dieses Gespräch heute mit Dir, Philipp.

00:01:18: Hallo Phillip. Willkommen!

00:01:20: Hallo, mein Name ist Philipp Blom.

00:01:22: Ich schreibe Bücher

00:01:23: über Philosophie und Geschichte.

00:01:24: Ich moderiere Radio.

00:01:26: Und ich beschäftige mich besonders damit,

00:01:28: wie unsere Gesellschaften

00:01:30: durch die Klimakatastrophe durchkommen

00:01:32: oder eben auch nicht.

00:01:33: Philipp, auch von meiner Seite

00:01:35: ein herzliches Willkommen

00:01:36: bei Freitag in der Arena.

00:01:39: Ulrich, du hast aber noch

00:01:41: eine Ankündigung zu machen.

00:01:42: Der Philipp wird in Zukunft

00:01:43: bei den Gesprächen der oekostrom AG

00:01:45: eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen.

00:01:47: Ja, Tom. Wir kreieren ein neues Format.

00:01:50: Das wird heißen oekostrom AG am Campus.

00:01:54: Wird an der Technischen Universität

00:01:55: in Wien stattfinden.

00:01:57: Und wird von Philipp Blom moderiert werden.

00:01:59: Er wird dort sehr spannende Gäste haben

00:02:02: und Themen, die uns bewegen,

00:02:06: die in unserer Zeit Bedeutung haben, diskutieren.

00:02:10: Und da freuen wir uns darauf.

00:02:11: Wir werden Philipp Blom also

00:02:12: noch dreimal in diesem Jahr

00:02:14: bei diesem neuen Format haben.

00:02:15: Aber jetzt starten wir erst mal

00:02:17: in den Podcast des heutigen Tages.

00:02:19: Philipp, willkommen noch einmal.

00:02:22: Wir wollen heute einmal diskutieren:

00:02:24: Wandel, Bedrohung,

00:02:28: Chance in demokratischen Strukturen.

00:02:31: Wir sehen den Klimawandel.

00:02:33: Und ich glaube, wir sind uns alle einig,

00:02:35: dass wir den Klimawandel zu langsam angehen.

00:02:38: Wir sehen eine große geopolitische Bedrohung

00:02:43: im Moment durch den Krieg,

00:02:45: den Putin und seine Macht-Clique

00:02:47: in der Ukraine angezettelt hat.

00:02:50: Und dann stellt sich die Frage:

00:02:52: Wie reagieren wir

00:02:53: mit unseren demokratischen Strukturen,

00:02:55: die auf Konsensfindung ausgelegt sind?

00:02:58: Und Konsensfindung braucht Zeit.

00:03:01: Können wir solche Krisen

00:03:04: in demokratischen Strukturen eigentlich begegnen?

00:03:06: Das ist eine gute Frage, glaube ich.

00:03:08: Also Krisen wie Kriegen – Ja.

00:03:11: Dafür gibt es Prozeduren.

00:03:13: Da gibt es einen Kriegszustand,

00:03:16: der ist dafür da,

00:03:17: dass Entscheidungen vereinfacht werden.

00:03:20: Die Klimakatastrophe ist eine ganz andere Frage.

00:03:24: Denn da gibt es auf einmal

00:03:28: große Konflikte legitimer Interessen.

00:03:31: Also wenn wir diese Katastrophe

00:03:33: in irgendeiner Weise,

00:03:34: ich will nicht sagen bewältigen,

00:03:36: aber konstruktiv überleben wollen,

00:03:38: dann müssen wir zum Beispiel jetzt

00:03:40: eine ganz neue Infrastruktur bauen.

00:03:42: Wenn wir tatsächlich mit erneuerbarem Strom

00:03:46: dezentral produziert haben wollen,

00:03:48: dann geht das mit unserem Netz im Moment nicht.

00:03:51: Um die Spannungsschwankungen auszugleichen,

00:03:53: müsste man ein neues Netz legen.

00:03:55: Stellen wir uns mal vor,

00:03:56: die Regierung würde sagen:

00:03:58: Da habt ihr 500 Milliarden.

00:04:00: Stellen wir uns mal vor,

00:04:01: es gäbe die Ingenieure, die das könnten.

00:04:03: Die gibt es im Moment auch nicht.

00:04:05: Dann könnte man sicher sein,

00:04:06: dass beim Bau einer Trasse

00:04:08: auf Kilometer 53 ein seltener Lurch wohnt

00:04:10: und sich eine Bürgerinitiative bildet,

00:04:12: die aus den besten Motiven versucht,

00:04:16: da die Natur zu retten

00:04:17: und das 20 Jahre lang

00:04:18: durch die Instanzen der Gerichte jagt.

00:04:20: Das wird dann auf einmal ein Problem

00:04:22: für so ein Transformationsprojekt.

00:04:24: Wenn das 200 mal im Land passiert,

00:04:26: passiert 20 Jahre lang gar nichts.

00:04:28: Und da steht auf einmal eine Demokratie

00:04:30: vor der zentralen Herausforderung:

00:04:32: Was können wir eigentlich machen,

00:04:35: um diese Krise in irgendeiner Weise zu bewältigen?

00:04:38: Müssen wir dafür unsere eigenen

00:04:40: demokratischen Rechte außer Kraft setzen?

00:04:42: Eine sehr gefährliche Entwicklung natürlich.

00:04:44: Weil das sozusagen ein erster Schritt

00:04:46: zu einer autoritären Regierung ist.

00:04:48: Aber auf der anderen Seite:

00:04:50: Wir kommen in eine Zeit

00:04:52: mit unglaublich vielen Interessenkonflikten

00:04:55: von berechtigten Interessen gegeneinander.

00:04:58: Und das ist etwas,

00:05:00: was unsere Demokratien noch nicht kennen.

00:05:02: Was unsere Demokratien auch noch nicht kennen,

00:05:04: und das ist vielleicht noch wichtiger...

00:05:06: Ich meine, im Moment muss man ganz einfach sagen:

00:05:09: Wir bezahlen Putins Krieg.

00:05:12: Die Munition, die in der Ukraine verwendet wird,

00:05:16: ist von Ihnen und von mir gekauft worden.

00:05:18: Durch unseren Konsum von russischem Gas und Öl.

00:05:21: Das machen wir immer noch.

00:05:23: Da sind wir auch in einer sehr schwierigen

00:05:28: moralischen Situation auf einmal -

00:05:30: als Gesellschaften uns frei zu machen davon.

00:05:32: Man kann natürlich auch etwas zynisch sagen:

00:05:34: Für den Ökostrom, für erneuerbare Energien

00:05:39: ist dieser Krieg in der Ukraine das Beste,

00:05:41: was passieren konnte.

00:05:42: Das ist jetzt extrem zynisch.

00:05:43: Darum bringe ich die Frage

00:05:44: ein bisschen auf den Lurch zurück.

00:05:47: Um den Lurch, den du vorher angesprochen hast,

00:05:50: zu retten, wird jedes Projekt

00:05:52: demokratisch legitimiert,

00:05:53: von Bürgerinitiativen blockiert, behindert.

00:05:55: Da kann der Ulrich auch Lieder davon singen.

00:05:57: Jetzt haben wir einen Krieg.

00:05:59: Auf einmal erkennen alle

00:06:00: die übergeordnete Notwendigkeit.

00:06:03: Du sagst, der Krieg ist

00:06:05: für den Umgang mit der Klimakatastrophe,

00:06:07: für den Weg zu erneuerbaren Energien

00:06:09: das Beste, was uns passieren konnte.

00:06:11: Es ist unfassbar zynisch.

00:06:13: Nein, es ist nicht unfassbar zynisch.

00:06:14: Es ist, glaube ich, nur realistisch.

00:06:15: Jetzt wird Europa und werden andere Länder

00:06:18: Interesse daran zeigen,

00:06:21: wirklich von fossilen Brennstoffen

00:06:23: unabhängig zu werden

00:06:24: und werden ernsthaft politisches Gewicht und

00:06:27: Kapital etc. dahinter setzen,

00:06:29: das rasch zu schaffen.

00:06:31: Und das heißt auch Unabhängigkeit

00:06:33: nicht nur von Russland,

00:06:34: sondern wahrscheinlich auch von Saudi-Arabien,

00:06:36: von anderen unappetitlichen Regimes,

00:06:38: die Öl fördern und liefern.

00:06:40: Das ist ein absoluter Zeitenwechsel.

00:06:44: Ich meine, dass es viele Menschen,

00:06:47: darunter auch ich, sind,

00:06:48: die jahrelang Vorträge gegeben,

00:06:50: Filme gemacht, Radio gemacht haben,

00:06:52: sich den Mund fusselig geredet.

00:06:54: Das ist 20 Jahre öffentlichen Diskurs wert,

00:07:00: was da in einer Woche passiert ist.

00:07:02: Dass die Menschen einfach realisiert haben:

00:07:04: Die Tatsache, dass wir

00:07:06: in so einem ahistorischen Paradies leben

00:07:08: in Europa, wo wir nur Rechte haben

00:07:10: und konsumieren können und

00:07:12: irgendwie die Mechanismen der Geschichte

00:07:15: nicht mehr greifen,

00:07:17: die ist vorbei.

00:07:19: Die Geschichte ist zurückgekommen.

00:07:20: Und zur Geschichte gehört leider

00:07:21: gewalttätiger Konflikt und die Bedrohung davon.

00:07:24: Wir müssen uns alle in dieser neuen Zeit

00:07:28: erst wieder schütteln und zurechtfinden.

00:07:31: Denn das ist wirklich so.

00:07:32: Was da passiert ist,

00:07:33: das hat die gesamte geopolitische Ordnung

00:07:35: im Prinzip auf den Kopf gestellt.

00:07:37: Und damit natürlich auch die Energiequellen

00:07:41: für die Ökonomie und die Ökonomien selbst.

00:07:44: ich komme jetzt noch einmal zurück.

00:07:46: Ist dieser Krieg, dieser Konflikt,

00:07:48: dieser Überfall tatsächlich etwas,

00:07:51: was das Umdenken

00:07:52: in Richtung Energiewende so beschleunigt,

00:07:55: wie es 20 Jahre Umwelt-Diskussion

00:07:57: nicht geschafft haben?

00:07:58: Ich glaube, diese Frage überlasse ich

00:08:01: eher dem Philipp mit seinem großen

00:08:03: historischen und philosophischen Wissen.

00:08:05: Diese Krise ist ja auch noch nicht alt.

00:08:08: Aber ja, Philipp hat von Zeitenwechsel gesprochen,

00:08:11: der Bundeskanzler Deutschlands spricht

00:08:13: von Zeitenwende.

00:08:14: Da passiert schon etwas.

00:08:17: Es ist wahrscheinlich zum Ersten Mal

00:08:20: auch den Menschen vor Augen geführt worden,

00:08:23: dass wir von Energieversorgung

00:08:24: abgeschnitten werden können.

00:08:26: Es ist ja so, dass wir in Österreich

00:08:28: 80 Prozent unseres Erdgases aus Russland beziehen.

00:08:31: Deutschland bezieht 50 Prozent

00:08:33: des Erdgases aus Russland.

00:08:34: Und wenn Putin will,

00:08:36: dann dreht er die Gashähne einfach zu.

00:08:38: Und dann wirds bei uns sehr kalt.

00:08:40: Und ich glaube, das ist etwas,

00:08:42: was sich Menschen besser vorstellen können

00:08:43: als Bedrohung,

00:08:44: als die Tatsache,

00:08:45: dass es vielleicht in 30 Jahren

00:08:48: drei Grad mehr Erd-Temperatur hat.

00:08:50: Deswegen ja,

00:08:51: da kann schon ein Umdenken stattfinden.

00:08:54: Und das würde ich auch gerne

00:08:56: in die Diskussion wieder zurückbringen

00:08:57: mit dem Philipp:

00:08:58: Zeitenwende. Zeitenwechsel.

00:09:00: Da passiert was.

00:09:01: Wir haben große Veränderungen schon gesehen.

00:09:02: Vor allem das Verhalten Deutschlands,

00:09:03: die auf einmal erstmals in der Geschichte,

00:09:05: dann in einen Krieg hinein Waffen liefern,

00:09:08: die jetzt 100 Milliarden bereitstellen

00:09:10: für die Aufrüstung der Bundeswehr.

00:09:13: Und das wird in anderen Ländern ähnlich passieren.

00:09:16: Nur solche Entscheidungen müssen ja

00:09:19: demokratisch getragen sein.

00:09:20: Jetzt ist das im Moment

00:09:22: eine ganz kleine Gruppe von Menschen, die sagt:

00:09:24: Okay, wir müssen was anderes tun.

00:09:25: Wir brauchen ja aber

00:09:27: die demokratische Unterstützung.

00:09:29: Und da sind wir wieder bei diesem Eingangsthema.

00:09:31: Und Philipp, du beschreibst in deinen Büchern,

00:09:32: dass unser demokratisches, unser liberales System

00:09:37: eigentlich ziemlich kaputt ist,

00:09:41: in einem schlechten Zustand ist,

00:09:43: weil es nur noch auf Konsum ausgelegt ist,

00:09:46: auf Spaß haben, auf nehmen,

00:09:49: auf sich selbst optimieren.

00:09:53: Aber dass dieses Zurückgeben in die Gesellschaft,

00:09:56: wenn ich das richtig verstehe

00:09:57: und du kannst es sicher besser ausführen,

00:09:59: ja in diesem Maße nicht gegeben ist

00:10:01: in der heutigen Zeit.

00:10:02: Können wir also überhaupt die Menschen

00:10:06: in einer Demokratie bewegen,

00:10:07: auch diese Transformation,

00:10:09: die jetzt da ansteht zu bewältigen?

00:10:11: Weil wir brauchen dafür Milliarden von Euro.

00:10:14: Und werdem große Veränderungen auch spüren

00:10:16: in unserem Leben, wenn wir das tun.

00:10:18: Ich glaube, Menschen ändern ihre Meinung nicht

00:10:21: durch kluge Argumente.

00:10:23: Menschen ändern ihre Meinung durch Erfahrungen.

00:10:26: Und wenn sie etwas erfahren,

00:10:27: was so mit ihrem eigenen Weltbild clasht,

00:10:30: dass ihr eigenes Weltbild

00:10:31: das nicht mehr erklären kann,

00:10:33: dann fängt man an,

00:10:36: für andere Meinungen offen zu sein.

00:10:37: Und wenn dann vielleicht

00:10:39: ein kluges Argument kommt,

00:10:40: dann hat es einen Ritz,

00:10:41: in den es hineinschlüpfen kann.

00:10:43: Wir beginnen gerade in unseren Gesellschaften

00:10:45: massiv neue Erfahrungen

00:10:47: und andere Erfahrungen zu machen.

00:10:48: Wir beginnen zu begreifen, dass das,

00:10:50: was wir uns in den letzten Generationen,

00:10:52: zwei, drei Generationen erzählt haben,

00:10:54: nicht mehr einen Zugriff hat

00:10:56: auf die Gesellschaft, auf die Realität

00:10:58: in einer positiven Weise.

00:10:59: Zum Beispiel Wirtschaftswachstum,

00:11:01: die große heilige Kuh.

00:11:03: Wenn eine Wirtschaft um drei Prozent wächst,

00:11:05: dann muss sie sich alle 24 Jahre verdoppeln.

00:11:09: Wie soll das gehen?

00:11:10: Wir haben unsere Demokratien darauf aufgebaut,

00:11:13: dass wir steigenden Wohlstand haben.

00:11:16: Die Demokratien des Westens

00:11:17: sind Kinder des Erdöl-Booms.

00:11:20: Auch wenn wir jetzt schauen,

00:11:22: also Gleichheit in Gesellschaften:

00:11:24: wann haben Frauen das Wahlrecht bekommen,

00:11:26: in Europa?

00:11:27: In Frankreich erst 1945,

00:11:29: in der Schweiz erst 1972.

00:11:30: Also Demokratie ist was ziemlich Junges.

00:11:33: Und es kommt auch aus diesem

00:11:35: enormen Wirtschaftsboom in der Nachkriegszeit,

00:11:39: wo es auch möglich wurde -

00:11:41: Demokratie kostet eine Menge Geld -

00:11:43: solche Institutionen zu erhalten und zu stärken

00:11:45: und Haltungen in der Gesellschaft zu ändern.

00:11:48: Wir können uns nicht darauf verlassen,

00:11:49: dass dieses Wirtschaftswachstum so weitergeht.

00:11:52: Es ist einfach mathematisch unmöglich.

00:11:54: Wir können nicht den Klimawandel

00:11:57: in irgendeiner Weise bekämpfen

00:11:59: und gleichzeitig unsere Ökonomie verdoppeln

00:12:01: in 24 Jahren.

00:12:04: Das heißt, da kommen enorme Spannungsmomente

00:12:07: auf unsere Gesellschaften zu.

00:12:09: Dazu dann noch die Klimakatastrophe,

00:12:11: die Migrationsbewegungen, die daraus kommen,

00:12:13: die Störungen im internationalen Handel

00:12:15: und so weiter. Und ja, das ist eine Frage.

00:12:18: Und dazu kommt, glaube ich, noch etwas,

00:12:20: was mir ganz wichtig ist.

00:12:22: Als wir drei,

00:12:24: wir haben so ungefähr das gleiche Alter,

00:12:25: aufgewachsen sind, haben wir gehört,

00:12:27: dass wir in reichen, friedlichen Ländern leben,

00:12:31: weil wir demokratisch sind,

00:12:33: weil wir pünktlich sind, weil wir hart arbeiten,

00:12:35: weil wir nicht korrupt sind

00:12:37: oder nicht wahnsinnig korrupt sind,

00:12:38: weil wir Tugenden haben,

00:12:40: liberale, demokratische Tugenden.

00:12:43: Und die haben andere Menschen nicht.

00:12:44: Und deswegen sind die nicht so reich.

00:12:46: Und das war ein bisschen – ich karikiere jetzt -

00:12:49: das war so das lichtvolle

00:12:50: liberale Projekt in der Welt,

00:12:52: wo es immer weiterging.

00:12:54: Francis Fukuyama hat dann

00:12:57: vom Ende der Geschichte gesprochen,

00:12:58: nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs.

00:13:00: Also danach werden sozusagen liberale Märkte

00:13:04: alles in sich absorbieren.

00:13:05: Es ist so eine überlegene Lebensform,

00:13:08: dass niemand dem widerstehen kann.

00:13:11: Das ist nicht passiert.

00:13:12: Menschen haben frei für autoritäre Regime gewählt,

00:13:16: zum Beispiel in Ungarn und in Polen.

00:13:18: Das waren freie und faire Wahlen.

00:13:20: Das darf man nicht vergessen.

00:13:23: China hat mit Liberalismus und Demokratie

00:13:26: nichts zu tun,

00:13:27: hat aber gleichzeitig ein enormes

00:13:29: soziales Transformationsprojekt realisiert

00:13:32: und 100 Millionen von Menschen aus der Armut geholt.

00:13:35: Und unsere eigene Betrachtung der Geschichte

00:13:38: ist ein bisschen anders geworden.

00:13:39: Und wir haben gelernt: Das liberale Projekt,

00:13:42: so lichtvoll wie es war,

00:13:43: hätte nicht ohne Sklaven funktionieren können

00:13:45: im 18. Jahrhundert.

00:13:47: Hat systematisch auf koloniale Unterdrückung

00:13:50: und Ausbeutung gebaut für Jahrhunderte.

00:13:53: Hat unendliche Umweltzerstörung verursacht,

00:13:57: um seine großen Wirtschaftsleistungen zu realisieren.

00:14:00: Und auf einmal sieht das liberale Projekt

00:14:02: auch nicht mehr so toll und lichtvoll aus.

00:14:04: Das heißt, auf einmal wird eine liberale Demokratie

00:14:08: wirklich eine ideologische Wahl,

00:14:11: die komplex ist und über die man nachdenken muss.

00:14:14: Es ist nicht mehr so einfach,

00:14:16: wie es im Kalten Krieg war.

00:14:17: Hier wohnen die Leute,

00:14:18: die reich sind und im Frieden leben

00:14:19: und dort eben nicht.

00:14:20: Was ist besser?

00:14:21: Es ist viel komplizierter geworden.

00:14:24: Und gleichzeitig natürlich in Gesellschaften,

00:14:27: wo die soziale Schere weiter aufgeht -

00:14:29: und das tut sie in unseren Gesellschaften -

00:14:32: ist es sehr schwer, den Menschen,

00:14:34: die sich zurückgelassen fühlen,

00:14:36: ob berechtigt oder nicht,

00:14:38: denen begreiflich zu machen:

00:14:40: Diese Demokratie funktioniert für dich.

00:14:42: Funktioniert sie noch für diese Menschen?

00:14:44: Nein, das tut sie nicht.

00:14:45: Eben.

00:14:46: Wir hatten in der Nachkriegszeit zum Beispiel

00:14:48: in Deutschland mehrere Präsidenten,

00:14:49: die aus sehr bescheidenen Verhältnissen kamen,

00:14:52: die sich hochgearbeitet haben.

00:14:53: Und das ging damals.

00:14:56: Wer heute an der Supermarktkasse arbeitet

00:14:58: und vielleicht noch einen Putz-Job nebenher hat,

00:15:01: denen zu sagen:

00:15:03: Mach doch mal eine Zusatzausbildung,

00:15:05: um dich zu verbessern.

00:15:07: Wo soll die Zeit sein?

00:15:09: Wo soll die Möglichkeit sein?

00:15:10: Das heißt, wir haben in unseren Gesellschaften

00:15:12: immer mehr Menschen, die nicht verhungern müssen,

00:15:15: aber die nichts übrig haben

00:15:17: und keine Möglichkeiten haben, weiterzukommen.

00:15:20: Und die, wenn sie zum Beispiel

00:15:22: keine Arbeit mehr haben,

00:15:23: was auch viel mit Digitalisierung zu tun hat,

00:15:24: mit Automatisierung zu tun hat,

00:15:26: wir brauchen deren Arbeitskräfte

00:15:28: eigentlich nicht mehr,

00:15:30: dann haben sie die Demütigung,

00:15:31: dass sie sozusagen Almosen bekommen.

00:15:33: Das wäre ein Argument

00:15:35: für ein unbedingtes Grundeinkommen.

00:15:36: Aber das ist vielleicht eine andere Diskussion.

00:15:38: Aber nein, der Motor

00:15:41: in unseren Gesellschaften der sozialen Mobilität

00:15:43: funktioniert nicht mehr gut.

00:15:45: Und deswegen sagen sich viele Leute:

00:15:48: Ist es eigentlich noch ein System,

00:15:49: was meine Interessen vertritt?

00:15:51: Das kann man dann vermischen mit Fake News,

00:15:53: mit Fragen über Migration,

00:15:55: mit Fragen über die große Verschwörung

00:15:57: und ähnlichen Unsinn.

00:16:00: Aber die Beobachtung,

00:16:02: die dem Ganzen zugrunde liegt, ist richtig.

00:16:04: Das führt zu einer Dystopie,

00:16:06: zu einem apokalyptischen Weltbild.

00:16:08: Kannst du das unterschreiben,

00:16:09: dass wir uns in diese Richtung bewegen?

00:16:11: Wenn so viele Menschen

00:16:12: sich zurückgelassen fühlen und,

00:16:13: so wie es Philipp sagt,

00:16:14: eigentlich zurückgelassen worden sind

00:16:16: und nur Worthülsen der Politik

00:16:18: und der Eliten bekommen,

00:16:19: dass sie alles erreichen könnten?

00:16:21: Also wir beobachten ja,

00:16:23: dass sich viele Menschen

00:16:25: offensichtlich zurückgelassen fühlen.

00:16:27: Das beobachten wir schon im Wählerverhalten.

00:16:30: Die dann zu Parteien gehen,

00:16:31: die einfache Lösungen versprechen,

00:16:33: die typischerweise dann nicht funktionieren,

00:16:35: wenn diese Parteien dann

00:16:37: wirklich einmal Verantwortung übernehmen müssen.

00:16:38: Ich glaube, das ist beobachtbar.

00:16:42: Die Frage ist, wohin würde das führen?

00:16:45: Weil eingangs haben wir ja gesagt:

00:16:46: Können Demokratien solche großen Prozesse

00:16:50: des Klimawandels oder eben

00:16:52: des geopolitischen Umbaus unseres Energiesystems,

00:16:55: also das Loslösen von Despotenstaaten,

00:16:58: können wir das überhaupt in einer Demokratie lösen?

00:17:01: Und es ist schon so,

00:17:03: dass ich auch aus dieser Zeit komme,

00:17:04: wo ich glaube, Demokratien können alles lösen.

00:17:06: Aber wenn das, was du, Philip sagst,

00:17:08: das richtig ist,

00:17:09: dass die Demokratien eigentlich in sich zerfallen,

00:17:11: weil die Menschen diese Demokratie

00:17:12: gar nicht mehr tragen,

00:17:14: weil ihnen das Essentielle genommen wird,

00:17:15: nämlich Teilhabe am gesellschaftlichen System.

00:17:18: Und du beschreibst ja in einem Buch

00:17:19: oder mehreren Büchern diese Tatsache,

00:17:22: dass Arbeit für diese Menschen verschwinden wird,

00:17:25: dass wir die nicht mehr haben werden,

00:17:26: dass die noch mehr aus der Teilhabe herausfallen.

00:17:27: Es ist aber auch der klassische Thomas Piketty,

00:17:30: der französische Ökonom,

00:17:31: der ein großes Buch geschrieben hat:

00:17:33: Kapital im 21. Jahrhundert.

00:17:34: Wo er einfach gezeigt hat:

00:17:36: Es ist nie möglich,

00:17:38: mit Arbeit so viel zu verdienen

00:17:39: wie mit Kapital.

00:17:41: Kapital wächst immer schneller

00:17:43: als der Profit aus Arbeit.

00:17:45: Und deswegen wird dieser, wird diese Lücke,

00:17:50: der Abgrund zwischen den beiden immer größer.

00:17:52: Und das ist sozusagen ein strukturelles Problem.

00:17:54: Man kann ja auch demokratisch was dagegen machen.

00:17:57: Man könnte ja mal als Partei links von der Mitte

00:17:59: dafür argumentieren,

00:18:01: dass Besteuerung von Einkommen gleich ist,

00:18:04: ob es aus Arbeit oder aus Kapital kommt.

00:18:06: Das wäre eine klassische linke Position.

00:18:11: Das wäre eine Position aber auch,

00:18:13: die ein bisschen mehr Fairness

00:18:15: und Ausgleich schaffen würde.

00:18:16: Und die einfach verhindern würde:

00:18:18: Wenn wir praktisch wieder

00:18:20: eine neue Aristokratie bekommen

00:18:22: in unseren Gesellschaften,

00:18:24: dann ist das eine Klasse,

00:18:25: die einfach weil sie mehr Geld hat

00:18:28: und mehr Einflussmöglichkeiten hat,

00:18:30: natürlich auf die Gesellschaft

00:18:32: einen viel stärkeren Einfluss

00:18:33: für ihre Interessen ausübt.

00:18:35: Das sehen wir in Amerika schon sehr stark,

00:18:37: wo man nicht gewählt werden kann,

00:18:39: wenn man nicht von sehr reichen Donors

00:18:40: sehr viel Geld kriegt.

00:18:42: Aber natürlich, ich meine,

00:18:44: es gibt auch in Brüssel viel mehr Lobbyisten

00:18:45: als Parlamentarier

00:18:47: und die haben unglaublich viel mehr Budget.

00:18:49: Und das ist ja auch vielleicht

00:18:52: gar nicht illegitim.

00:18:53: Aber es ist natürlich,

00:18:55: wenn es viel stärker wird

00:18:56: als das Lobbying von der anderen Seite,

00:18:58: dann wird es ein Problem.

00:19:00: Und ich glaube,

00:19:03: wenn man dann einen Schritt zurückgeht.

00:19:05: Unser Problem ist ein bisschen,

00:19:08: dass wir in demokratischen Systemen leben,

00:19:10: die für die Nachkriegszeit konstruiert wurden

00:19:12: und die da wunderbar funktioniert haben.

00:19:15: Aber die gewisse Annahmen hatten,

00:19:17: die heute nicht mehr gelten.

00:19:19: Meine Kindheit in Deutschland ist

00:19:22: punktuiert von Nachrichtensendungen,

00:19:23: die unendlich langweilig waren.

00:19:25: Ich dachte immer,

00:19:27: Politik ist das Fadeste von der Welt.

00:19:28: Denn es ging immer um

00:19:29: eine neue Runde der Tarifverhandlungen.

00:19:32: Ich fand schon das Wort fürchterlich.

00:19:33: Und es war natürlich fad,

00:19:35: weil es immer um Prozentpunkte ging.

00:19:37: Aber es war natürlich der Ausdruck

00:19:38: einer schwierigen und konflikutellen,

00:19:41: aber doch eigentlich funktionierenden Balance

00:19:43: zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

00:19:45: Und die einen brauchten die anderen.

00:19:46: Aber war diese Langeweile, die du empfunden hast,

00:19:49: nicht auch ein Übersetzungsproblem,

00:19:51: unter dem wir heute genauso leiden?

00:19:53: Robbie Williams sang:

00:19:55: Here we are now – entertain us.

00:19:56: Kurt Cobain sagte:

00:19:57: My attention span is rather short. 25 seconds –

00:20:00: und dann muss etwas passiert sein.

00:20:02: Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis raus?

00:20:05: Ganz pathetisch formuliert:

00:20:08: Greta hat mit langen Reden

00:20:10: nicht dieses Umdenken geschafft,

00:20:11: dass Wladimir Putin

00:20:12: mit einem Grenzübertritt zuwege brachte.

00:20:15: Auf einmal wissen alle:

00:20:16: Wir müssen raus aus den fossilen Energien.

00:20:18: Greta Thunberg hat sich den Mund fusselig geredet.

00:20:20: Die Fridays sind auf den Straßen

00:20:22: auf der ganzen Welt.

00:20:23: Wladimir Putin zettelt einen Krieg an

00:20:24: und wir wissen, da muss was geschehen.

00:20:27: Ja, ich glaube trotzdem,

00:20:29: dass solche Sachen wie Fridays for Future

00:20:31: sehr wichtig waren,

00:20:32: weil sie auch das Klima geschaffen haben

00:20:35: in unseren Gesellschaften,

00:20:36: dass man überhaupt über so was nachdenkt.

00:20:37: Und es ist ganz anders,

00:20:39: wenn man etwas im Radio hört

00:20:41: oder auf einem Podcast

00:20:42: oder wenn die eigenen Kinder

00:20:43: beim Abendessen am Tisch sagen:

00:20:45: Warum haben wir eigentlich zwei Autos?

00:20:47: Ich will nicht, dass wir zwei Autos haben.

00:20:48: Das wird noch mal ganz anders zur Realität.

00:20:51: Und insofern - das, was jetzt möglich geworden ist

00:20:55: an Diskussionen in unseren Gesellschaften,

00:20:57: darüber, dass wir viel weiter gehen,

00:20:58: das wäre glaube ich so nicht möglich gewesen,

00:21:03: wenn wir nicht diese Jahre von Fridays for Future

00:21:05: und von diesem Aktivismus gehabt hätten.

00:21:07: Es ist schon wichtig so ein Aktivismus.

00:21:09: Auch wenn er nicht die Welt verändert.

00:21:11: Die Welt zu verändern ist ehrlich gesagt

00:21:13: auch etwas Beängstigendes,

00:21:14: weil es immer unvorhergesehene Konsequenzen hat.

00:21:16: Insofern ist es vielleicht gut,

00:21:18: dass es nicht nur einen großen Hebel gibt,

00:21:20: an dem einer ziehen kann, sondern viele kleine.

00:21:22: Aber wir müssen ja die Welt verändern.

00:21:25: Ja, klar müssen wir die Welt verändern.

00:21:27: …weil den Klimawandel

00:21:28: hält ja die Menschheit nicht aus.

00:21:30: Dem Planeten ist es egal.

00:21:32: Aber wir als Menschen

00:21:33: halten den Klimawandel ja nicht aus.

00:21:35: Und gleichzeitig ist uns jetzt

00:21:37: schrecklich klar geworden,

00:21:39: dass wir die Abhängigkeit von despotischen Staaten,

00:21:43: die sehr viel Energie besitzen, Öl, Gas,

00:21:47: nicht weiter tolerieren können.

00:21:51: Wir müssen uns davon unabhängig machen.

00:21:52: Ich glaube, das ist jetzt eindeutig klar geworden.

00:21:55: Große Wandlungsprozesse.

00:21:58: Aber gleichzeitig sagst du:

00:21:59: Die Demokratie wird eigentlich immer schwächer,

00:22:01: weil viele Menschen

00:22:02: von dieser Teilhabe ausgeschlossen werden.

00:22:03: Sie kann aber gestärkt werden.

00:22:05: Ich möchte das noch kurz ausführen,

00:22:06: weil mir das wichtig ist zu zeigen, warum.

00:22:08: Warum glaube ich,

00:22:09: dass Demokratie nicht mehr so gut,

00:22:11: oder diese Art von Demokratie

00:22:12: nicht mehr so gut funktioniert.

00:22:13: Es gab diese Balance

00:22:14: zwischen Industrie, Arbeitern und Bossen.

00:22:17: Und dann kam die De-Industrialisierung Europas.

00:22:19: Kapital reist viel schneller als Menschen.

00:22:22: Und auf einmal war die Produktion woanders.

00:22:25: Und die Menschen, die vorher die Arbeiter waren

00:22:26: und über Gewerkschaften und Parteien

00:22:28: eine gewisse Macht hatten,

00:22:30: hatten keine Macht mehr.

00:22:31: Sie sind jetzt die fiktiven Allein-Unternehmer,

00:22:34: die Büros putzen und Pizza ausliefern.

00:22:35: Die haben keinerlei gesellschaftliche Stimme mehr

00:22:39: und dieser Motor ist zerbrochen.

00:22:41: Das hat übrigens auch viel mit Erdöl zu tun.

00:22:43: Steinkohle zu fördern musste vor Ort passieren

00:22:47: mehr oder weniger damals noch

00:22:49: und brauchte viele, viele Menschen.

00:22:51: Und da war der Spruch „Alle Räder stehen still,

00:22:54: wenn ein starker Arm es will“ tatsächlich wahr.

00:22:57: Erdöl braucht nicht so viele Arbeiter

00:22:59: und die sind in anderen Ländern,

00:23:00: die es mit Menschenrechten nicht so ernst nehmen.

00:23:03: Und da ist auf einmal

00:23:04: die ganze politische Gleichung eine andere.

00:23:06: Aber was ich damit nur sagen will:

00:23:09: Dieses politische Modell,

00:23:10: was auf dieser Balance beruhte,

00:23:12: der Nachkriegszeit,

00:23:13: das funktioniert nicht mehr in Europa.

00:23:15: Weil eigentlich nur

00:23:16: eine Seite dieser Gleichung übriggeblieben ist.

00:23:17: Nämlich die Seite der Bosse,

00:23:19: im politischen Diskurs.

00:23:21: Und die anderen versuchen, sich zu artikulieren

00:23:23: und finden es immer wieder schwierig

00:23:25: und fallen auch immer wieder

00:23:26: auf die falschen Leute rein.

00:23:27: Und vielleicht die richtigen Leute

00:23:28: holen sie auch nicht ab.

00:23:30: Und das ist eine Tragödie.

00:23:31: Aber das kann geändert werden.

00:23:32: Eine Demokratie kann revitalisiert werden.

00:23:35: Wir können heute mehr lokale Abstimmungen

00:23:37: auch öfter übers Internet haben.

00:23:39: Wir können tatsächlich Bürgerräte einführen,

00:23:41: wo Menschen mit echten Konsequenzen

00:23:44: miteinander sich mit der Realität auseinandersetzen

00:23:47: und wirklich miteinander diskutieren.

00:23:49: Es gibt, glaube ich, viele Mechanismen,

00:23:52: wie wir Demokratie wieder stärken können.

00:23:54: Aber wir müssen vor allen Dingen

00:23:55: die Fairness wiederherstellen.

00:23:56: Dass Menschen, die sich einsetzen,

00:23:58: tatsächlich was schaffen können.

00:24:01: Und dass niemand in einem reichen Land

00:24:03: wirklich so zurückgelassen wird,

00:24:05: dass es einfach eine Schande ist für dieses Land.

00:24:08: Und das ist im Moment

00:24:09: in unseren Gesellschaften nicht mehr so.

00:24:11: Das kann man ändern.

00:24:13: Aber dafür braucht man politischen Willen

00:24:14: Siehst du diesen politischen Willen?

00:24:16: Und siehst du auch die Zeit noch vorhanden,

00:24:19: diese Änderung so herbeizuführen,

00:24:22: dass wir nicht statt einer 1,5 Grad Schwelle

00:24:26: eine 2,5 Grad Schwelle überschreiten,

00:24:28: bevor wir vielleicht doch

00:24:29: das Ruder herumgerissen haben?

00:24:31: In meinem Kopf geht gerade herum,

00:24:33: ob diejenigen, die unsere Länder führen,

00:24:40: ob in der Wirtschaft oder in der Politik,

00:24:42: überhaupt dieses Verständnis haben.

00:24:44: Das was du beschreibst,

00:24:45: ist ja unglaublich komplex.

00:24:47: Es gibt in der Politik

00:24:49: die Dummen und die Zyniker.

00:24:51: Es gibt die, die sagen:

00:24:53: Das wird schon nicht so schlimm sein.

00:24:54: Gibt es die Guten nicht auch?

00:24:56: Es gibt die Guten auch.

00:24:57: Oder die, die sagen:

00:24:58: Ja, ich weiß schon, dass das so ist,

00:24:59: aber in der Zwischenzeit kann man noch

00:25:03: eine Menge Geld machen.

00:25:04: Oder: Meine Legislaturperiode

00:25:06: ist nur noch zweieinhalb Jahre lang

00:25:08: und in zehn Jahren gehe ich in Ruhestand.

00:25:10: Ich brauche das nicht mehr.

00:25:12: Grundsätzlich würde ich sagen:

00:25:13: Menschen, die in die Politik gehen,

00:25:14: verfolgen hehre Ziele.

00:25:15: Und ich glaube auch,

00:25:16: dass Menschen in der Wirtschaft

00:25:17: im Grundsatz ehrliche Menschen sind,

00:25:21: die was Gutes in der Welt erreichen können.

00:25:23: Die Frage ist nur: Verstehen auch diese Guten,

00:25:26: die diese hehren Ziele verstehen,

00:25:29: verstehen die die Komplexität des Wandels

00:25:31: unserer Gesellschaften?

00:25:32: Und können sie dann überhaupt reagieren?

00:25:34: Ich würde mal sagen,

00:25:35: die meisten verstehen es nicht.

00:25:37: Aber es ist auch ganz schwierig. Auch für uns.

00:25:39: Denn es ist im Prinzip

00:25:40: dieselbe Situation mit der Klimakatastrophe

00:25:43: oder auch mit dieser sozialen Katastrophe,

00:25:46: die in unseren Gesellschaften stattfindet,

00:25:48: dieselbe Situation

00:25:50: wie mit der Invasion der Ukraine.

00:25:53: Man ist immer davor

00:25:55: und am Tag davor sagt man:

00:25:56: Naja, aber so weit kann es ja nicht gehen.

00:25:58: Das wird schon nicht passieren.

00:26:00: Und am nächsten Tag ist es passiert.

00:26:01: Das heißt, und das ist glaube ich ganz wichtig,

00:26:07: man kann diese Veränderung

00:26:08: nicht mehr von innerhalb unseres Systems denken.

00:26:11: Nach den Spielregeln, die wir kennen,

00:26:13: nach den Handlungsanleitungen, die wir haben,

00:26:16: lässt sich das nicht mehr verstehen,

00:26:18: was da passiert.

00:26:20: Sondern es ist wirklich ein radikaler Wandel,

00:26:22: für den man lernen muss,

00:26:23: in anderen Kategorien zu denken.

00:26:25: Und das ist schwer. Das ist schwer.

00:26:27: Und natürlich, jedes System

00:26:28: hat seine eigene Trägheit

00:26:30: und sein eigenes Momentum.

00:26:32: Jede Institution hat auch

00:26:34: ihre eigene Trägheit

00:26:35: und ihren eigenen Überlebensmoment.

00:26:37: Und jede Partei hat das leider auch.

00:26:39: Also gerade in den großen Parteien,

00:26:40: Menschen, die eine persönliche Meinung haben,

00:26:42: werden nicht besonders weit kommen.

00:26:44: Man muss lernen,

00:26:45: die Meinung der Partei zu vertreten,

00:26:47: die Linie der Partei zu vertreten.

00:26:48: Und wenn einem der Preis zu hoch ist,

00:26:50: dann kann man eben

00:26:51: keine hohen politischen Ämter haben.

00:26:52: Das heißt aber auch, dass da oft sozusagen

00:26:55: die abgeschliffensten Kieselsteine oben ankommen.

00:26:58: Und das ist natürlich eigentlich Gift

00:27:01: für die politische Meinungsförderung.

00:27:02: Aber es zeigt, dass Parteien

00:27:04: einfach mächtige Institutionen geworden sind,

00:27:06: die ihre eigenen Regeln haben,

00:27:07: nach denen Dinge funktionieren

00:27:09: und nach denen Menschen dann oben ankommen.

00:27:11: Also diese systemische Trägheit

00:27:13: ist ein großes Problem,

00:27:14: wenn man tatsächlich Transformation will.

00:27:17: Aber gleichzeitig werden wir

00:27:18: mit diesen Strukturen arbeiten müssen,

00:27:21: denn das ist das Einzige,

00:27:24: was funktioniert im Moment.

00:27:25: Philipp, das klingt alles

00:27:27: unheimlich fatalistisch bis pessimistisch.

00:27:29: Ich bin ein Berufspessimist.

00:27:31: Aber im Herzen wünsche ich mir immer

00:27:33: Gesprächspartner, Gesprächspartnerinnen,

00:27:35: die mir diesen Pessimismus austreiben.

00:27:38: Gibt es auch eine optimistische Lesart

00:27:40: dieser Entwicklungen?

00:27:42: Wohin geht die Reise?

00:27:44: Es gibt immer auch eine optimistische Lesart

00:27:46: dieser Entwicklungen.

00:27:48: Und ich meine, aber erstens hat es keinen Sinn,

00:27:50: uns was vorzumachen.

00:27:53: Das wäre jetzt glaube ich, kriminell dumm.

00:27:55: Und zu sagen „das wird schon“,

00:27:56: „es wird schon nicht so arg werden“

00:27:57: und „wir haben schon immer eine Lösung“,

00:28:00: das wäre glaube ich jetzt sehr gefährlich.

00:28:02: Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen,

00:28:04: dass alles, was sich die Menschheit aufgebaut hat,

00:28:07: innerhalb von 100 Jahren weg sein könnte.

00:28:10: Wir können es auch versuchen zu verhindern.

00:28:12: Aber die Möglichkeit ist sehr real.

00:28:14: Man kann aber auch sagen:

00:28:17: Die Gesellschaften, in denen wir jetzt leben,

00:28:20: die Ökonomien, in denen wir jetzt leben,

00:28:22: von denen wir uns so intensiv überzeugt haben,

00:28:25: dass sie die besten aller Welten sind.

00:28:28: Wie toll sind die eigentlich für die Menschen,

00:28:31: die in ihnen leben?

00:28:32: Wenn Menschen Antidepressiva fressen,

00:28:34: als wären sie Smarties.

00:28:35: Wenn sich Kids ritzen, um mal was zu fühlen.

00:28:37: Wenn alte Menschen einsam ihr Leben beenden.

00:28:42: Ist es dann wirklich so eine tolle Gesellschaft?

00:28:44: Können wir wirklich keine bessere Gesellschaft bauen?

00:28:46: Können wir nicht eine Gesellschaft bauen,

00:28:49: die Menschen und ihren Bedürfnissen angemessener ist?

00:28:52: Und ist das nicht der Möglichkeit,

00:28:54: wenn wir jetzt ein System zerschlagen müssen,

00:28:56: weil es zerbröselt um uns herum,

00:28:58: uns wirklich zu bemühen,

00:29:00: eine bessere Gesellschaft zu bauen?

00:29:01: Und ja, das ist möglich.

00:29:03: Und das ist die Chance in der Katastrophe.

00:29:06: Es ist immer noch eine Chance in der Katastrophe.

00:29:09: Aber diese Chance ist real.

00:29:11: Ich versuch's deswegen auf eine ganz andere Art.

00:29:14: Die letzte Frage,

00:29:15: eigentlich die vorletzte Frage in diesem Podcast,

00:29:18: das wisst ihr, der Philipp weiß es noch nicht,

00:29:20: geht immer in Richtung:

00:29:22: Was kann ich / Was kannst du / Was kann jeder /

00:29:25: Was kann jeder von uns tun?

00:29:26: Wir nennen es den Tipp am Freitag,

00:29:28: wo ich von unseren Gästen

00:29:30: eine möglichst präzise, möglichst konkrete,

00:29:32: möglichst niederschwellige Handlungsanweisung erbitte,

00:29:36: wie man mit einer kleinen individuellen Handlung

00:29:39: die Welt ein bisschen besser machen kann,

00:29:41: die dann besser wird, wenn viele es ähnlich machen.

00:29:47: Also, bevor ich das antworte

00:29:48: eine kleine und irritierende Zwischenbemerkung.

00:29:50: Ich glaube, es ist ganz wichtig,

00:29:51: dass wir nicht in die Falle tappen,

00:29:53: dieses ganze Problem der Klimakatastrophe

00:29:55: zu individualisieren und uns zu fragen:

00:29:57: Was kann ich denn tun?

00:29:59: Und darf ich jetzt Fleisch essen oder nicht?

00:30:01: Und wenn wir alle vegan werden

00:30:02: und kein Auto mehr betreten,

00:30:04: werden wir die Klimakatastrophe nicht verhindern.

00:30:06: Was passiert in Asien?

00:30:08: Das sind viel größere Hebel.

00:30:09: Und an den Hebeln müssen wir ziehen lernen.

00:30:11: Der Carbon Footprint wurde von BP erfunden.

00:30:15: Eben auch, um Menschen sozusagen

00:30:18: auf ihren eigenen Horizont zu konzentrieren

00:30:21: und so nervös zu machen und neurotisch zu machen,

00:30:23: dass sie dann gar keine Zeit mehr zu haben,

00:30:25: was BP und Konsorten tun.

00:30:27: Und genau daran liegt's.

00:30:28: Wenn wir die Klimakatastrophe wirklich überleben

00:30:32: und vielleicht auch konstruktiv überleben wollen,

00:30:34: dann müssen wir an den großen Strukturen arbeiten.

00:30:37: Und dazu ist es wichtig,

00:30:38: dass wir nicht mehr so viel Fleisch essen

00:30:40: und nicht mehr so viel fliegen.

00:30:41: Aber es ist besonders wichtig,

00:30:42: dass wir nicht anfangen,

00:30:44: nur noch auf unseren Bauchnabel zu schauen

00:30:45: und die großen Strukturen außer Acht zu lassen.

00:30:48: Aber meine kleine Empfehlung wäre ganz einfach,

00:30:51: sehr einfach, aber dafür viel weniger konkret:

00:30:53: Traut euch mutig zu denken darüber, was möglich ist,

00:30:57: was an Veränderung möglich ist,

00:31:00: was an gesellschaftlicher Veränderung möglich ist.

00:31:03: Dass man etwas,

00:31:04: was absolut in Beton gegossen aussieht,

00:31:06: auch tatsächlich auflösen und verändern kann

00:31:09: und was Neues tun kann.

00:31:10: Ich glaube, Mut zum Denken ist ganz wichtig.

00:31:13: Mut, sich eine andere Gesellschaft vorzustellen.

00:31:16: Mut, sich ein positives Ziel zu setzen.

00:31:17: Wir müssen auf positive Ziele zugehen.

00:31:20: Die werden wir nicht alle erreichen.

00:31:22: Das ist nie so im Leben.

00:31:23: Aber man braucht diese positiven Ziele.

00:31:25: Und ich glaube...

00:31:26: Lasst mich mit dem Gedanken aufhören,

00:31:29: weil mir das wichtig ist.

00:31:32: Wir hören immer wieder

00:31:34: in der Diskussion über die Klimakatastrophe,

00:31:36: dass es da um Einschränkung und Verzicht geht.

00:31:39: Und das ist natürlich in der Konsumgesellschaft

00:31:40: was ganz Böses.

00:31:42: Aber das ist auch wieder so ein Framing

00:31:44: wie das Individualisieren des Problems.

00:31:47: Denn, wenn ich euch frage: Habt ihr Kinder?

00:31:51: Ulrich Ja, ich nein.

00:31:52: Also ich meine, dann muss man natürlich…

00:31:54: was für eine törichte, wahnsinnige Wahl.

00:31:57: Du hast vielleicht

00:31:58: auf eine Viertelmillion Euro verzichtet,

00:32:00: die dich deine Kinder kosten.

00:32:02: Du hast vielleicht auf Reisen verzichtet

00:32:04: und Unabhängigkeit

00:32:06: und vielleicht auf guten Sex

00:32:07: und vielleicht auf eine harmonische Ehe

00:32:09: für eine Zeit lang.

00:32:10: Alle möglichen wahnsinnigen Verzichtleistungen.

00:32:13: Wofür?

00:32:14: Das ist Wahnsinn in der Konsumgesellschaft.

00:32:16: Du hast dich wahrscheinlich

00:32:17: ökonomisch benachteiligt.

00:32:18: Deine Frau hat vielleicht

00:32:20: nicht die Karriere gemacht,

00:32:21: die sie hätte machen können.

00:32:22: Weil man etwas Positives wollte.

00:32:25: Weil man etwas wollte, was all das wert ist.

00:32:28: Nämlich eine Familie.

00:32:30: Und weil man für dieses positive Ziel

00:32:33: ohne Augenzucken bereit ist,

00:32:35: diese Sachen in Kauf zu nehmen.

00:32:37: Und ich glaube, wenn man so anfängt,

00:32:39: auf diese Transformation zu schauen und sagen:

00:32:41: Ja, wir wollen eine andere Gesellschaft,

00:32:43: wir wollen eine Gesellschaft,

00:32:44: wo wir nicht mehr effektiv Sklavenhalter sind,

00:32:47: wo wir nicht mehr schlechte Ahnen sind

00:32:48: für die Leute, die nach uns kommen,

00:32:50: wo wir uns selbst in den Spiegel schauen können

00:32:53: und eine Gesellschaft,

00:32:54: die auch noch demokratisch funktioniert

00:32:55: und die wollen wir miteinander schaffen.

00:32:57: Ich glaube, das ist eine Perspektive,

00:32:59: die man braucht,

00:33:00: auch und gerade in schweren Zeiten.

00:33:02: Philipp Blom, ich bedanke mich

00:33:04: ganz, ganz herzlich

00:33:05: für diesen längsten Tipp am Freitag,

00:33:06: den ich jemals in dieser Sendung gehört habe.

00:33:10: Aber das war auch schon

00:33:11: ein ganz, ganz toller Hinweis darauf,

00:33:13: was uns / euch erwartet,

00:33:15: wenn Philipp Blom als Moderator bei

00:33:19: oekostrom AG am Campus

00:33:20: da sein wird für uns.

00:33:23: Da freue ich mich schon richtig drauf.

00:33:24: Die letzte Frage geht aber trotzdem

00:33:26: so wie immer an Ulrich.

00:33:27: Was nimmst du aus diesem

00:33:29: hoch-philosophischen Gespräch heute mit?

00:33:32: Dieser Diskussion ist ja wenig hinzuzufügen.

00:33:35: Wir haben unglaublich viel gelernt heute,

00:33:37: glaube ich.

00:33:38: Ich nehme mit,

00:33:42: dass unsere Gesellschaften sich wandeln müssen.

00:33:45: Dass sie von innen eigentlich sich selbst zerstören

00:33:52: und dass sie von außen Effekte bekommen,

00:33:55: die innen bedrohlich sind.

00:33:57: Und dass wir das nur lösen können

00:33:59: über einen gesellschaftlichen Wandlungsprozess.

00:34:01: Und ich greife einfach die zwei Sätze auf,

00:34:06: die gerade zum Ende gesagt hat:

00:34:08: Traut euch mutig zu denken.

00:34:10: Habt Mut zu denken.

00:34:12: Und versucht,

00:34:13: euch diese neuen Gesellschaften vorzustellen.

00:34:16: Das nehme ich mit als Gedanken.

00:34:18: Wir müssen mutig denken und uns überlegen:

00:34:21: Wo wollen wir diese Gesellschaften hinführen?

00:34:23: Also danke Philipp Blom

00:34:24: für diese tollen Anregungen.

00:34:25: Gerne.

00:34:26: Dann bleibt mir auch nur eines übrig:

00:34:29: Mich bei meinen beiden Gesprächspartnern

00:34:31: hier heute bei Freitag in der Arena

00:34:33: im Exil im vierten Wiener Gemeindebezirk

00:34:36: ganz herzlich zu bedanken.

00:34:38: Wir sehen, wir hören uns hoffentlich bald wieder.

00:34:41: Mutig sein, den Mut nicht verlieren,

00:34:43: das ist, glaube ich, das Gebot der Stunde.

00:34:45: Danke fürs Dabeisein.

00:34:46: Ciao und Baba.

Über diesen Podcast

Freitag in der Arena ist jetzt "Geladen". Mit Geladen starten wir in eine neue Podcast-Ära: kürzer, knackiger und vielleicht auch mal kontroversiell. Schau vorbei unter "Geladen: Hier kommt die Zukunft zu Wort" -> überall, wo es Podcasts gibt!

von und mit oekostrom AG

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